10.10.2011 – Take 5 – MDR Kultur – Stefan Maelck (Pop) und André Sittner (Klassisch) — – Details
Tom Waits
CD-Empfehlungen | MDR FIGARO | 10.10.2011 — Take 5 — von Stefan Maelck (Pop) und André Sittner (Klassisch)
— Pop
Peter Gabriel – «New Blood» — Label: Capitol (Best-Nr.: 6791562)
Peter Gabriel hat im vergangenen Jahr sein Album «Scratch my back» mit Coverversionen veröffentlicht, komplett mit Orchester eingespielt, ohne Drums und ohne elektrische Gitarren. Weil das so erfolgreich war, ist er mit dem Orchester auch gleich auf Tour gegangen. Auf dieser Tour bestand der erste Teil des Konzerts aus dem neuen Album. im zweiten gab es dann orchestrale Fassungen seiner großen Hits. Und weil Peter Gabriel das so gut gefallen hat, hat er an zwei Abenden in London mit dem New Blood Orchestra zwei ganze Konzerte fast ausschließlich mit seinen eigenen Stücken bestritten, nur wenige hingegen aus dem Coveralbum gespielt. Diese Konzerte wurden mitgeschnitten und sind jetzt als CD, DVD und Blue Ray unter dem Titel «New Blood» erhältlich. Das Projekt ist spannend, in weiten Teilen gelungen und nur manchmal ein Abfall im Vergleich mit dem Originalen.
— »Noel Gallagher›s High Flying Birds» — Label: Sour Mash Records (Best-Nr.: G37)
Noel Gallagher ist mit seiner Band Oasis bekannt geworden. Die waren so etwas wie die Beatles der 90er-Jahre, hatten ein paar große Hits und wurden dann irgendwann größenwahnsinnig und musikalisch immer schlechter, bis sie sich auflösten. Vor allem die rivalisierenden Brüder Liam und Noel Gallagher bestimmten die Band. Liam hat sich mittlerweile mit seiner neuen Band «Beady Eye» zurückgemeldet. Jetzt zieht Noel nach mit der selbstbewusst benannten Combo «Noel Gallagher›s High Flying Birds» nach. In England wird deren Debütalbum schon jetzt als Nachfolger des Oasis-Albums «What›s the Story, Morning Glory» gefeiert. Es bietet feinsten Britpop, Rock und Balladen, Northern Soul, viel Beatles und irgendwo sogar eine New-Orleans-Brass-Band. Das Album strotzt nur so vor Ideen und wird jeden alten Oasis-Fan beglücken.
— Björk – «Biophilia» — Label: Polydor (Best-Nr.: 2777665)
Björk ist eine sehr, nun ja, «spezielle» Frau mit sehr «spezieller» Musik. Manche sehen sie auch als total durchgeknallte Isländerin mit komplett anstrengender Musik, andere vergöttern sie jedoch gerade deswegen. Björk hat die musikalische Eisscholle, auf der sie mal begonnen hat, längst verlassen und ist immer stärker in verkopfte und versponnene Projekte abgedriftet. Dabei war sie allerdings immer innovativ, kreativ und überraschend. Ihr neues Album heißt «Biophilia». Und wieder einmal bietet es etwas ganz anderes, als auf den Vorgängeralben «Medulla» und «Volta», eher noch anstrengender. Auch technologisch beschreitet sie diesmal neue Wege, zu jedem einzelnen Song gibt es eine eigene Smartphone-App, die Text, Entstehung und Konzept verrät. Das ist faszinierend aber auch etwas kräftezehrend. Manches Stück des Albums würde auch problemlos in die FIGARO-Sendung mit Neuer Musik passen.
— Tom Waits – «Bad as me» — Label: Epitaph, Anti (Best-Nr.: 961152)
Tom Waits hat wieder ein neues Album veröffentlicht! Es heiß «Bad as me» und erscheint am 21. Oktober 2011. Die Single «Back in the Crowd» gibt es jedoch schon vorher und im Falle von Tom Waits stellt FIGARO auch mal eine Single ohne das ganze Album vor. Die Musik klingt hier musikalisch und stimmlich nicht hundertprozentig nach Tom Waits, eher so, als würde Jim Reeves auf Elvis treffen. Dazu kommen spanische Gitarren von Marc Ribot und David Hidalgo von den «Los Lobos». Man hat das Gefühl, Tom Waits zelebriert hier eine Art Minnesang, steht unterm Fenster einer Angebeten und versucht, seine Reibeisenstimme mit Kreide zu behandeln, damit die Frau nicht gleich die Flucht ergreift. Waits präsentiert auf seinem neuen Gesamtalbum «Bad as me» die verschiedensten Stile seiner Laufbahn, es wird auch eine Reise durch Waits musikalische Geschichte sein. Vielleicht das wichtigste Album im Herbst, neben dem, das Lou Reed mit Metallica aufgenommen hat.
— Nils Petter Molvaer – «Baboon Moon»Label: Columbia (Best-Nr.: 88697959962)
Mit seinem Debütalbum «Khmer» hatte der norwegische Trompeter Nils Petter Molvaer 1997 die Musikwelt in helle Aufruhr versetzt. Für Furore sorgte dieses Album aus zwei Gründen: Zum einen gab es solche Musik, die lange Improvisationen mit modernen Samples und Clubsound koppelte, bei Manfred Eichers Label ECM vorher nicht. Zum anderen war das Album einfach so gut, dass zwar alle etwas anderes darin zu hören vermochten, jeder aber sein Lieblingsalbum darin wiederfand, egal, ob das von Miles Davis, Don Cherry oder Brian Eno war. Die Remixe von «Khmer» gelangten in die deutschern Clubcharts, auch ein Novum für ECM. Das «Khmer»-Nachfolgealbum «Solid Ether» war noch von ähnlicher Qualität, Album Nummer drei «NP 3» versuchte jedoch 2002 härtere Beats und schrillere Töne, war zwar laut aber auch irgendwie statisch klang. Später kam noch «ER», worauf sich Nils Petter Molvaer noch einmal neu erfand. Um Nils Petter Molvaer war es zwischenzeitlich etwas ruhig geworden, was ihm aber absolut gut bekommen ist. Nun kommt er nach einer Pause er mit neuem Label und einer neuen Band zurück. Auf seiner aktuellen CD «Baboon Moon» begeht Nils Petter Molvaer wieder neue Wege. Aufgenommen hat er das Album im Trio mit dem Gitarristen und Soundtüftler Stian Westerhus und dem Drummer Erland Dahlen. Die Musik ist dicht gewebt, großartige Sounds, überraschende Gitarren – elektrisch und akustisch – und dazu viel Elektronik. Das ist magisch!
— Klassisch
Tonhalle-Orchester Zürich: Brahms – Symphonies 1-4 Tonhalle-Orchester Zürich
Leitung: David Zinman
Label: RCA Red Seal (Best-Nr.: 88697933492)
Der Beethoven-Zyklus des Tonhalle-Orchesters Zürich wurde vor Jahren von der Kritik geradezu euphorisch gelobt. Eine Einheit von Dirigent David Zinman mit seinem Orchester, wie man sie so nur selten findet. Nun haben sie einen Brahms-Zyklus vorgelegt, alle vier Sinfonien auf drei CDs. Und auch wenn es wohl schon tausende Einspielungen der Brahms-Sinfonien gibt, diese verdienen Beachtung, nicht nur weil Zinman sich recht forsch und mit der ihm eigenen Klangintention den Werken nähert, sondern weil das Tonhalle-Orchester unter ihm zu einer der wirklich feinen Adressen vor allem in Sachen Spätromantik geworden ist. Subtile Klangentfaltung, feinjustierte Präzision und forsches Nachvorndrängen liegen hier auf einer Linie und diese Linie beschreibt ein hohes Niveau. Auch bei den Tempi hat Zinman einmal mehr ein glückliches Händchen und findet stets die goldene Mitte, ohne zu überhasten, aber auch ohne jegliches Schleppen. Ein sehr ausgereifter Brahms, der den Vergleich mit den gängigen Vorzeigeausnahmen nicht zu scheuen braucht und trotzdem einen ganz eigenen Stil pflegt – den Zürcher eben.C.P.E. Bach: Werke für Fagott Sergio Azzolini, Fagott
Streicherakademie Bozen
Leitung: Georg Egger
Label: Sony Classical (Best-Nr.: 88697932412)
Carl Philipp Emanuel Bach war der zweitältesten Bach-Sohn und vielleicht der musikalisch gesehen eigenwilligste. Man bringt ihn vor allem mit Cembalomusik oder auch seinen mitunter etwas sperrigen Sinfonien in Verbindung. Das Fagott dagegen kam bislang meist zu kurz, weil Carl Philipp Emanuel Bach dieses Instrument kaum bedacht hat. Dies ließ den Barockfagottvirtuosen Sergio Azzolini nicht ruhen und er nahm sich Bachs Instrumentalkonzerte vor, die ja meist in drei Fassungen vorliegen, für Flöte, für Cello und natürlich das ureigenste Instrument des Komponisten, das Cembalo. Sergio Azzolini verwendete die Cellofassung, die ja stimmlich dem Fagott am ehesten liegt, entlehnte aber diverse Bläserfiguren aus der Flötenvariante. Und das gelingt ausnehmend gut! Das Fagott nimmt diesen galanten Stil wunderbar an, was auch an der hervorragend kenntnisreichen Spielweise Azzolinis liegt. Die Konzerte entfalten durch den dunklen, leicht hohlen Klang des Holzblasinstruments einen ganz eigenen Charme. Die beteiligte Streicherakademie Bozen bestreitet ihren Part so zupackend und voller Esprit, dass die Idee mit dem Fagott selbst Skeptiker überzeugen sollte.Martin Roscoe spielt Somervell und Cowen Sir Arthur Somerwell: Highland Concerto, Normandy
Sir Frederic Hymen Cowen: Concertstück
Martin Roscoe, Klavier
BBC Scottish Symphony Orchestra
Leitung: Martyn Brabbins
Label: Hyperion (Best-Nr.: CDA 67837)
Von der englischen Musik weiß man insgesamt in Zentraleuropa recht wenig, nur ein paar Namen blitzen ab und zu im Konzertprogramm auf. Für das späte 19. und 20. Jh. stehen dabei vor allem Elgar, Vaughan Williams und Britten. Nun hat das Label Hyperion mit Sitz in London in einem Anflug von Patriotismus zwei einheimische Komponisten aufs Tableau gehoben, die sicher nur Kennern etwas sagen dürften. Sir Arthur Somerwell (1863-1937), einer der großen Liedkomponisten Englands im späten 19. Jahrhundert, und Sir Frederic Hymen Cowen, der bereits als Sechsjähriger erste erfolgreiche Stücke schrieb. Mit Martin Roscoe hat sich auf diesem Album nicht nur ein ausgesprochener Kenner der Musik dieser beider Herren angenommen, sondern auch ein vorzüglicher Pianist. Wie ihre bekannteren Kollegen, pflegen auch Somerwell und Cowen das spezielle englische Idiom, und das durchaus originell, wenn z.B. Somerwell im Finale seines Klavierkonzertes ein schottisches Volkslied verarbeitet. Man hört nicht nur Martin Roscoe, sondern auch der BBC Scottish Symphonia und ihrem Leiter Martyn Brabbins an, wie viel Spaß und Enthusiasmus in diesen Welterstaufnahmen stecken. Hervorragend musiziert, wie man es von dieser Musikerkombination aber schon von früheren CDs aus der schönen Hyperion-Reihe «The Romantic Piano Concerto» gewöhnt ist. Eine sehr lohnenswerte Entdeckung.Chen Reiss – «Liaisons» Arien von Mozart, Haydn, Cimarosa, Salieri
Chen Reiss, Sopran
L›Arte del Mondo
Leitung: Werner Ehrhardt
Label: Onyx (Best-Nr.: 4068)
Chen Reiss macht in jeder Hinsicht eine gute Figur, auf der Bühne und auch stimmlich. Sie ist ganz ohne Zweifel eine der großen Stimmen unserer Tage, eine Stimme, die völlig mühelos in die höchsten Höhen entschwindet, klangschön ist, wenngleich auch etwas mehr Wärme dem Timbre noch mehr Abrundung verleihen würde. Auch beweglich ist sie, nur bei schnellen Tonwechseln in den Höhen wirkt sie manchmal etwas angestrengt. Aber das sind Mäkeleien des Erbsenzählens. Wer sich Chen Reiss› neues Album mit Arien aus der Mozartzeit kauft, der erhält dafür einen wirklich empfehlenswerten Gegenwert. Nicht nur die schöne Stimme von Chen Reiss, sondern auch eine gelungene Auswahl an Arien von Mozart, Haydn, Salieri oder Cimarosa besticht. Es sind nicht etwa die immer wieder gesungenen, sondern wirkliche Ausgrabungen, Entdeckungen wie Haydns «La Metilda ritrovata» oder Arien, die Mozart zu Werken von Kollegen beisteuerte, wie Galuppis «Le Nozze di Dorina». Auch das Ensemble «L›Arte del Mondo» trägt unter der bewährten Leitung von Werner Ehrhardt nicht unerheblich zum sehr gelungenen Gesamtergebnis bei.Carl Nielsen: Orchestral Music Serie: The Masterworks Vol 1
Danish National Symphony Orchestra
Leitung: Michael Schønwandt, Thomas Dausgaard
Label: DaCapo (Best-Nr.: 8.206002)
Die beiden international höchst geachteten Dirigenten Thomas Dausgaard und Michael Schønwandt teilen sich auf diesem Album die Aufgabe, das Orchesterwerk Nielsens zu interpretieren – Schønwandt übernimmt den sinfonischen Teil, Dausgaard die Suiten und Ausschnitte aus den Schauspielmusiken. Beide machen ihre Sache sehr gut, beherrschen den langen, klangsatten Melodiebogen bei Nielsen ebenso, wie die abrupten Sprünge und Stimmungswechsel. Das Orchester folgt beiden ganz eng, ohne auch nur irgendein Wackeln, mit schönem Streicherklang, fein austariertem Holz und Blech und einer immer sehr genau abgewogenen Balance. Einmal mehr ist man beim Hören erstaunt, dass Nielsen nicht irgendein nordischer Epigone zentraleuropäischer Musik ist, sondern sich als vielseitiger, höchst origineller und handwerklich mehr als versierter Komponist erweist. Er ist einer, der eigentlich viel gleichberechtiger neben einem Sibelius oder Grieg stehen müsste. Gerade deshalb ist hier das Label DaCapo zu loben, denn diese CD des Labels macht den Anfang einer großen Nielsen-Ausgabe, die längst überfällig war.
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