Als Nikki Giovanni jung, brillant und furchtlos war

09.12.2024NewsThe New York TimesVeronika Kammern —   –  Details

Nikki Giovanni

Die Dichterin stellte schon früh die Weichen für ihre revolutionäre Karriere und verfolgte diese über Jahrzehnte hinweg gewissenhaft, indem sie ihrer Vision und sich selbst treu blieb. — Während ihrer gesamten Karriere stellte Nikki Giovanni die Frage: Wer könnten wir sein, außerhalb der harten Geschichte, die uns überliefert wurde? — Es gibt einen Clip von Nikki Giovanni und James Baldwin, der immer wieder auf TikTok auftaucht. Das war im Jahr 1971, etwas mehr als drei Jahre nach der Ermordung von Martin Luther King Jr. Richard M. Nixon war Präsident und weit davon entfernt, zurückzutreten. «Theme From Shaft» war auf Platz 1 der Billboard-Charts, «Imagine» von John Lennon auf Platz 6 und «Got to Be There» von Michael Jackson auf Platz 7. Nikki Giovanni war 28 Jahre alt, Baldwin 47, und die beiden Autoren trafen sich in London, um ein Gespräch für die öffentlich-rechtliche Fernsehserie «Soul!» zu filmen. — In dem Clip beginnt Baldwin mit den Worten: «Wenn ich dich liebe, kann ich dich nicht anlügen.» Giovanni blinzelt spielerisch und sagt unverblümt: «Natürlich kannst du mich anlügen.» Dann fügt sie etwas Überraschendes hinzu. «Was zum Teufel interessiert mich die Wahrheit?», sagt sie. «Mir ist wichtig, ob du da bist. Wie Billie Holiday sagte: ‹Psst, jetzt keine Erklärung.‹» — Baldwin mustert sie aufmerksam, in seiner Krawatte schneidig. Er ist sichtlich amüsiert. Er scheint ohne Zögern anzuerkennen, dass sie ihm intellektuell ebenbürtig ist; sie hat die Bücher gelesen, die Geschichte und die Psychologie des Augenblicks studiert. Sie hat die Arbeit erledigt. Wie er spielt sie die englische Sprache wie eine Melodie. Ihre Worte sind rhythmisch, sorgfältig gewählt, präzise und elegant. Sie erhebt nie ihre Stimme; ihr Lächeln – locker, großzügig – lässt ihn wissen, dass sie sich freut, mit ihm zusammen zu sein. Aber sie lässt ihn nie auf sein selbstgerechtes Geplänkel hereinfallen, jene Mischung aus Baptistenprediger und Renaissancemann von Welt, die er so einzigartig perfektioniert hat. — Schließlich lässt sie ihn wissen, dass sie etwas von der Freundlichkeit schätzen würde, die Frauen ihrer Generation Männern gegenüber an den Tag zu legen gelernt haben, nicht aus Doppelzüngigkeit, sondern aus Zärtlichkeit, Zuneigung und Fürsorge. Klagend wendet sie sich ihm zu und sagt: «Weil ich dich liebe, bekomme ich am wenigsten von dir, ich bekomme das Allernötigste. Tu mir so, als ob, ist das zu viel verlangt, was die schwarze Frau von dem schwarzen Mann verlangt?» (…)

 
 

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