Den abwertenden Blick durchbrechen / James Baldwin 100*

02.08.2024Gedanken für den TagÖ1Brigitte Schwens- —   –  Details

James Baldwin

Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung «Die Furche», zum 100. Geburtstag von James Baldwin

USA, 1963: Martin Luther King initiiert Protestaktionen des zivilen Widerstands, die das Alltagsleben maßgeblich stören sollen: indem Schwarze sich in nur für Weiße vorgesehene Restaurants oder Bibliotheken setzen oder für gleiches Wahlrecht demonstrieren. — 1963 ist auch das Jahr, in dem der Schriftsteller James Baldwin, bereits ein bekannter Autor von Romanen und Essaybänden, sein Buch «The Fire Next Time» veröffentlicht. Dieses lässt, wenn man es heute liest, staunen über die Hellsicht des Autors, der die Zustände klar benennt, sich aber von keiner Ideologie vereinnahmen lässt. — Mit den radikalen Black Muslims teilt er zwar die Diagnose, wie unmenschlich Schwarze in den USA behandelt werden, nicht aber den Weg, den diese zur Beseitigung dieser Umstände einschlagen wollen. Zu keiner Zeit sieht Baldwin in den Weißen «Teufel», so wie es die Black Muslims tun. Zu keiner Zeit will Baldwin einfach die Machtverhältnisse umdrehen. Ihm geht es vielmehr darum, gerade diesen abwertenden Blick auf den anderen zu durchbrechen. Er hält an der Liebe fest, verstanden nicht nur im persönlichen Sinn, sondern «im universellen herben Sinn des Suchens (.)». — Dem Bürgerrechtler Malcolm X, der aus dieser radikalen Bewegung hervorging, sie aber verließ, begegnet Baldwin daher ebenso mit Hochachtung wie Martin Luther King. Vielleicht hat er früher als andere mehr das Verbindende als das Trennende beider Bewegungen gesehen. Doch beide Bürgerrechtler werden noch vor ihrem 40. Geburtstag ermordet: Malcolm X wird 1965 mit 21 Schüssen getötet, Martin Luther King 1968 erschossen. — «Seit Martins Tod in Memphis und dem ungeheuerlichen Tag in Atlanta hat sich etwas in mir verändert, etwas ist verloren gegangen», schreibt Baldwin. In seiner bitteren Erkenntnis «es gibt noch gar kein amerikanisches Volk» steckt aber immer noch die verzweifelte Hoffnung, eines Tages möge es anders sein.

 
 

SK-xxddhehitt