DDR-Architektur der Ostmoderne / Wertschätzung statt Abriss

16.05.2024NewsNZZUlrike Sauer —   –  Details

Chemnitzer Omnibusbahnhof

Die Ostmoderne ist ein Teil der deutschen Architekturgeschichte. Nach der Wende wurden viele Bauten dieser Epoche abgerissen. Mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden.

 

Kann das weg, denn es ist aus dem Osten? Diese Frage drängte sich in den vergangenen 30 Jahren vielen Menschen in Ostdeutschland auf, auch wenn es um Architektur ging. Was im Ausland geachtet und gefeiert wurde, stieß in der vergrößerten Bundesrepublik auf wenig Gegenliebe: Viele Gebäude der sogenannten Ostmoderne wurden abgerissen, obwohl sie noch intakt waren. Teilweise gab es dagegen Proteste, etwa beim Palast der Republik.

 

Nur langsam wächst das Bewusstsein über die künstlerische Bedeutung der Ostmoderne. So wurde das Terrassenrestaurant Minsk in Potsdam gerettet. Nun befindet sich darin eine Kunstausstellung. Auch andernorts werden Werke der Ostmoderne geschätzt und unter Denkmalschutz gestellt.

Was versteht man unter Ostmoderne? — Der Begriff Ostmoderne bezieht sich im Allgemeinen auf Bauten der Nachkriegszeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. In den ersten Jahren nach 1945 waren diese allerdings noch von einem vorgegebenen kunstpolitischen Stil geprägt, der als «nationale Tradition» bekannt war, so zum Beispiel die Gebäude im sogenannten Zuckerbäckerstil entlang der damaligen Stalinallee in Berlin, heute Karl-Marx-Allee. Sie zeichnen sich aus durch einen Stilmix aus Sozialistischem Klassizismus und preußischer Schinkelschule. «Von den 1960er- bis zu den 1980er-Jahren hingegen war die Klassische Moderne im weitesten Sinne vorherrschend, was zu einer zunehmenden Vielfalt an Stilen und Strömungen führte. Dazu gehören auch die Plattenbauplanungen oder Kunst am Bau. Streng genommen gilt diese zweite Phase als Ostmoderne. Prägnante Beispiele hierfür sind das Kino International oder das Café Moskau. Beide Gebäude befinden sich ebenfalls in der Karl-Marx-Allee in Berlin. «Maßgeblich geprägt wurde der Begriff «Ostmoderne» vom Architekturhistoriker Ulrich Hartung, der 2004 eine Ausstellung mit dem gleichlautenden Titel ausgerichtet hat. Mittlerweile hat sich der Terminus etabliert.

Was zeichnet die Ostmoderne aus? — Die zweite – oder auch eigentliche – Phase der Ostmoderne ist geprägt von einer radikalen Industrialisierung des Bauens, basierend auf einer begrenzten Auswahl an standardisierten Gebäudetypen und der Ästhetisierung dieser strengen Form des Bauens. Es bildet sich langsam eine ostdeutsche Architektur heraus, die experimentierfreudig ist und sich an westlicher Baukultur orientiert, ohne ihren eigenen Charakter zu verleugnen.

 

So hat das in Berlin kurz vor dem Abriss stehende farbenprächtige Sport- und Erholungszentrum, besser geläufig unter seiner Abkürzung SEZ, mehr mit dem Pariser Centre Pompidou zu tun als mit den Typenschwimmhallen der DDR. «Es entstehen Schulen, Freizeiteinrichtungen oder Staatsgebäude, bei denen Gemeinschaft und Funktionalität im Vordergrund stehen – mit strengen Formen, mit viel Glas und aus Beton, die aber auch künstlerisch gestaltet werden, zum Beispiel mit Fassadenmosaiken. Künstlerinnen und Künstler entwickeln aber auch Gestaltungskonzeptionen für Gebäudekomplexe, Plätze, Wohngebiete und die Ausgestaltung von Betrieben: Die Arbeitsumwelt soll künstlerisch ansprechend gestaltet sein.

 

Was Bauwerke der Ostmoderne aber besonders auszeichnet, ist deren Lage beziehungsweise Setzung im Stadtbild: die städtebauliche Perspektive, die von Anfang an mitgedacht wird. So überragen sie beispielsweise ihre Nachbargebäude nicht. Sie fügen sich ein ins Stadtbild.

 

Was das bedeutet, kann man gut am Beispiel des gerade noch geretteten Terrassenrestaurants Minsk in Potsdam sehen. Der weite Blick vom einstigen Stadtbalkon wird heute teilweise versperrt durch einen Badneubau, der an den Fuß jenes Berges gebaut worden ist, den Alexander von Humboldt seinen «Chimborazo» von Potsdam genannt hatte. Allein das Kuppeldach der Nikolaikirche lugt hinter dem Neubau hervor.

Was sind bekannte Beispiele der Ostmoderne? — Viele Bauten der Ostmoderne wurden nach der Wende abgerissen. Bekanntestes Beispiel ist der Palast der Republik, Sitz der Volkskammer der DDR und öffentliches Kulturhaus mit verschiedenen Veranstaltungsräumen. 1976 wurde es eröffnet und 2008 endgültig abgerissen. An dessen Stelle steht nun eine Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses.

— Um das Terrassenrestaurant Minsk in Potsdam wurde lange gekämpft – 1977 als folkloristisches Nationalitätenrestaurant der belarussischen Küche eröffnet, verfiel das DDR-Architekturerbe nach 1989 und wäre fast abgerissen worden. SAP-Gründer Hasso Plattner ließ es sanieren und zeigt darin nun seit 2022 seine DDR-Kunstsammlung.

Juwelen der Ostmoderne «Ein Juwel der Ostmoderne, das noch existiert, ist der Chemnitzer Omnibusbahnhof. 1968 erbaut, ist er berühmt für sein riesiges Hängedach, das eine Fläche von gut 1.200 Quadratmetern überspannt. «Auch wenn in den vergangenen Jahren der Erhalt alter Gebäude als nachhaltige Alternative zum kompletten Abriss gilt, gibt es immer noch Bauten der Ostmoderne, die auch heute noch der Abrissbirne zum Opfer fallen. Jüngstes Beispiel ist das Generalshotel am Berliner Flughafen Schönefeld – erbaut zwischen 1947 und 1948, fällt es in die erste Phase der Ostmoderne.

 

Es wurde zur Begrüßung von Staatsgästen genutzt, darunter Fidel Castro, Leonid Breschnew, Olof Palme und Juri Gagarin. Obwohl es noch bestens erhalten war und seit 1995 unter Denkmalschutz stand, wurde es zwischen September 2023 und Februar 2024 abgerissen. «Und aktuell bangt das Berliner Sport- und Erholungszentrum (SEZ) um seine bauliche Existenz. 1981 eingeweiht ist es ein Ort, mit dem viele Berlinerinnen und Berliner Erinnerungen verknüpfen. An seiner Stelle sollen nun Wohnungen und eine Schule entstehen. Es formiert sich Widerstand.

Warum wurden Gebäude der Ostmoderne nach der Wende abgerissen? — Mit dem politischen Epochenwechsel kam auch eine städtebauliche bzw. Architekturwende. Im wiedervereinigten Deutschland wollten die nun auch im Osten maßgeblichen westdeutschen Eliten sozialistische Wahrzeichen aus dem Stadtbild entfernen, bekanntestes Beispiel ist der Palast der Republik, der durch einen Nachbau des historischen Stadtschlosses ersetzt wurde. Der Stadthistoriker Harald Engl spricht von einem kolonialen Siegerblick des Westens auf den Osten.

 

Dass der massive Rückbau von DDR-Architektur in Berlin nach dem Mauerfall seinen Ursprung auch im «kolonialen Siegerblick» hatte, steht außer Frage, erklären die DLF-Journalistinnen Marietta Schwarz und Katja Bigalke in ihrem Feature über die Ostmoderne. Ihrer Ansicht nach kann man die Abrisse von damals durchaus in die Tradition der sogenannten Bilderstürme stellen: Wo eine Herrschaft abrupt beendet und von einer neuen abgelöst wird, manifestiert sich das im Sturz von Denkmälern oder in der Umbenennung von Straßennamen. ««Damnatio memoriae» – das Tilgen der Erinnerung wurde schon im alten Rom praktiziert. Man löschte den Namen einer verdammten Person aus den Annalen, zerstörte Bildnisse und Inschriften. Später mit Einbruch der Moderne zeigt sich solche Zerstörung mitunter im gesamten Stadtbild. Auch weil der Abriss ganzer Gebäude durch technische Hilfsmittel – die Abrissbirne – viel einfacher geworden ist.

Warum werden Gebäude mittlerweile unter Denkmalschutz gestellt? — Es gibt mittlerweile jedoch ein Umdenken. Immer öfter werden die verbliebenen Bauten der Ostmoderne unter Denkmalschutz gesetzt, was sie jedoch nicht immer vor einem Abriss schützt. Jüngstes Beispiel ist das oben genannte Generalshotel.

 

Ein älteres Beispiel ist die Berliner Großgaststätte Ahornblatt, ein einzigartiges Bauwerk der Ostmoderne, das durch vergleichsweise unscheinbare Randbauten ersetzt wurde – trotz Denkmalschutzstatus. «Eigentlich sollte dieser Status dafür sorgen, dass entsprechend gelistete Gebäude bestehen bleiben, um das kulturelle Erbe einer Gesellschaft zu bewahren. Schließlich handelt es sich bei ihnen um sinnlich wahrnehmbare historische Zeugnisse über die Geschichte einer Gesellschaft. Ein lebendiges Bild der Baukunst und Lebensweise vergangener Zeiten soll erhalten werden.

 

Der Denkmalschutz kann eine zweite Chance kriegen, wenn Bauvorhaben scheitern: Denn wenn sich keine Investoren finden für die Vorhaben, die die Bauten der Ostmoderne ersetzen sollen, können Baupläne nach sieben Jahren auch geändert und zum Abriss vorgesehene Gebäude unter Denkmalschutz gestellt werden. «Diese Regelung nutzte die Schweizer Architektin Regula Lüscher, die von 2007 bis 2021 Senatsbaudirektorin in Berlin war, um Bestand doch noch vor der Zerstörung zu bewahren. So konnten unter anderen das Haus des Reisens oder das Haus des Berliner Verlags am Alexanderplatz gerettet werden.

Warum ist die Ostmoderne schützenswert? — Die Identität einer Stadt ist mit ihrer Geschichte verknüpft, erklärt die frühere Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher: Gebäude aus unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Stilen setzen unterschiedliche städtebauliche Vorstellungen um. Es handelt sich um im Stadtbild sichtbare verschiedene Zeitschichten.

 

Mit Geschichte sind auch immer Erinnerungen verknüpft – der DDR-Bürgerinnen und -Bürger in den verschiedenen Phasen ihres Lebens, negative wie positive: Konzerte im Palast der Republik oder die ersten Anbandelungsversuche im SEZ. Oder Ausflüge ins Minsk oder ins Café Moskau. «Erinnerungen ermöglichen» hat Hasso Plattner als ein wichtiges Motiv zur Rettung des Minsk benannt, als Respekt vor den «Lebensleistungen der Ostdeutschen». «Ein Abriss von halbwegs funktionierendem Bestand ist zudem aus ökologischen Gründen fragwürdig, Stichwort: graue Energie. Damit ist die in Gebäuden gebündelte Energie gemeint, die für Bau, Herstellung und Transport aufgewendet wurde. Der Erhalt ist aus dieser Perspektive einem Abriss immer vorzuziehen. —

 
 

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