Wie Springsteen die Mauer zum Wackeln brachte

19.07.2013NewsWelt OnlineMichael Pilz —   –  Details

Springsteen Fans

Vor 25 Jahren gab Bruce Springsteen in Ostberlin ein Konzert – vor Hunderttausenden, mit denen er seinen Traum teilte, «Barrieren umzureißen». Eine Erinnerung an den legendären Sommer von 1988.

 

Ich ging dann damals doch hin zu Bruce Springsteen auf die Radrennbahn in Weißensee, im Sommer 1988. Ich mochte seine Musik nicht. Es war rein ästhetisch, nichts Persönliches. Die Karten sollten zwanzig Mark kosten, für eine FDJ-Kulturveranstaltung der schiere Wucher. «Ich hatte im Frühjahr 1988 in Konzerten schon geschätzte Musiker wie Depeche Mode erlebt, Big Country und James Brown, das Weltwunder des Soul. Joe Cocker und Bryan Adams hatte ich in Weißensee besucht, auch wenn ihr Rock auf mich so ranzig wirkte wie Bruce Springsteens Hymnen. «Auf dem Weg zur Rennbahn sah ich meinen ersten Autostau. Die Menschenschlange, in die ich mich einreihte, schob sich zum Eingang, wo die Ordner an den offenen Zäunen lehnten. Manche trugen auch ihr Blauhemd offen bis zum Nabel. Ich grinste sie an, sie lächelten zurück. «Ich lief auf das Gelände und stellte mich hinter eine Menschenmenge, die mich an den Woodstock-Film erinnerte. Die Bühne stand am anderen Ende, aber fünfzig Meter vor mir gab es eine Leinwand. Darauf tauchte Springsteens Abbild kurz nach sieben auf. Es rief: «It›s great to be in East Berlin.» Dann musizierte es vier Stunden lang. «Die DDR wird gerade neu entdeckt «Bisher hat sich kaum jemand, der vor fünfundzwanzig Jahren nicht dabei gewesen ist, für das historische Ereignis näher interessiert. Jetzt laufen abendfüllende Fernsehfilme («Mein Sommer ›88 – Wie die Stars die DDR rockten»), erscheinen aufwendige Sachbücher («Rocking The Wall. Bruce Springsteen in Ost-Berlin 1988 – Das legendäre Konzert»), werden Podiumsgespräche mit verdienten Veteranen geführt. Die DDR wird gerade neu entdeckt. «So schnell wird man zum Zeitzeugen – also: Bruce Springsteens großes Gastspiel hatte eine Vorgeschichte. David Bowie trat im Juni 1987 auf der Wiese vor dem Westberliner Reichstag auf, beim «Concert For Berlin». Wir standen auf der Ostseite am Brandenburger Tor und hörten zu. «Für uns verlas Bowie auf Deutsch die Grußbotschaft: «Wir schicken unsere besten Wünsche zu unseren Freunden, die auf der anderen Seite der Mauer sind.» Die Sicherheitsorgane schritten ein, es kam zu tumultösen Szenen. Ich hatte die NVA erst seit sechs Wochen hinter mir, ich war noch flink und zäh und kam einigermaßen heil nach Hause. «Für den Juni 1988 waren vor dem Reichstag zwei Konzerte anberaumt worden, Pink Floyd und Michael Jackson. Diesmal ließ die DDR dagegen eigene Gäste antreten: James Brown spielte gegen Pink Floyd, Bryan Adams gegen Michael Jackson. Auf der alten Radrennbahn von Weißensee, beim «5. Berliner Rocksommer». Ich kenne keinen, der am Brandenburger Tor gestanden hätte, um «The Wall» zu hören. Bei James Brown war jeder. «An der Bühne hingen Banner gegen die Apartheid und gegen Atomwaffen. Die Ansagen kamen von Katharina Witt, der Eiskunstlauf-Olympiasiegerin, in formvollendetem Parteisächsisch. Kein Würdenträger wurde in der DDR je schlimmer öffentlich gedemütigt: Das Volk beschimpfte und bewarf sie, und der Ostberliner Soulsänger Dirk Zöllner, der das Vorprogramm bestreiten durfte, hat mir später von ihrem Zusammenbruch berichtet. «Es brach einiges an jenen Juniabenden zusammen. Die Hoffnung des Staates, die verlorene Jugend sei noch zu gewinnen durch eine Art Pop-Perestroika. Und der Irrglaube der Jugend, wenn schon einer wie James Brown den Osten von Berlin besucht, im smaragdgrünen Lackanzug und mit einer orangen Taucherbrille, dann wird alles groovy. «Es war ein «Konzert für Nikaragua» «Einen Monat später kam der Boss nach Weißensee. Der größte Rocksänger der Welt, zum größten Konzert der DDR-Geschichte, zur größten Springsteen-Show aller Zeiten. Ich starrte ihn auf der Leinwand an. Er trug ein Kreuz am Hals, er hielt seine Gitarre in den Pranken wie ein Sturmgewehr. Er stampfte mit den Füßen, schob das Kinn vor und sang einen Song, den ich nicht kannte, weil er auf «Born In The U.S.A.» nicht drauf war, der Amiga-Schallplatte, die jeder hatte. «Heute weiß ich: Es war «Badlands». Ich verstand mit meinem kümmerlichen Englisch auch die Botschaft nicht, die Springsteen uns mit «Badlands» überbrachte: «Lights out tonight, trouble in the heartland.» Ich ahnte die Dimension, das große Ganze. «Jetzt erörtern mir die aktuellen Filme und die Bücher detailliert, was ich damals erlebt habe. Der Amerikaner Erik Kirschbaum weiß in seinem Buch «Rocking The Wall», dass Springsteen aus der Zeile «We›ll keep pushing ›til it›s understood and these badlands are treating us well», aus einer Hoffnung, den Befehl «Keep pushing…» machte. Wir sollten das unwirtliche Land verändern. «Kirschbaum weiß allerdings auch nicht, wie viele am 19. Juli 1988 wirklich in der Ostberliner Steppe standen. 160.000 Eintrittskarten wurden angeblich verkauft. Wie viele in den Siebdruckwerkstätten der DDR gefälscht wurden, wie viele ohne Karten das Konzert besucht haben wie ich, verliert sich in den Schätzungen, irgendwo zwischen 300.000 und 500.000. «Auf den Karten stand «Konzert für Nikaragua», zum neunten Jahrestag der sandinistischen Revolution. Der Leitgedanke sollte auch über der Bühne hängen, was Bruce Springsteens Management noch rechtzeitig verhindern konnte. Wie schon John F. Kennedy und David Bowie wollte Springsteen ebenfalls etwas auf Deutsch verkünden. Der Chauffeur seines Tourneeveranstalters notierte ihm den Text in Lautschrift. «Hier wurde es wach, das Heimweh nach der Welt «Ursprünglich wollte der Rocksänger den Wunsch äußern, dass alle Mauern fallen mögen. Auch hier schritt sein Management entschlossen ein. Ich hörte ihn dann radebrechen: «Es ist schön, in Ostberlin zu sein. Ich bin nicht für oder gegen eine Regierung. Ich bin gekommen, um Rock›n›Roll für euch zu spielen.» Springsteen fügte noch hinzu: «In der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren umgerissen werden.» Für eine barrierefreie Welt, ein Diplomat in Lederweste. «Er sang «War» von Edwin Starr, denn in der DDR war immer alles für den Weltfrieden. Er sang «Born In The U.S.A.», und mir kamen die Tränen. Ich finde das Stück noch immer scheußlich. Damals lebte ich nicht in der DDR, sondern in ihren Subkulturen; ich wollte auch nie im deutschen Westen leben, wo die gönnerhaften, großspurigen Onkel wohnten. «Ich war zweiundzwanzig, und vielleicht waren die Punkkeller auf Dauer doch zu eng und dunkel. Manche schwenkten selbst gemalte USA-Flaggen, ohne dass sie sofort von Sicherheitsbeamten überwältigt worden wären. Es ging ihnen auch nicht um Amerika. Es war das Heimweh nach der Welt, und diese Welt war eine Nacht lang in der DDR zu Gast. Das Fundament der Mauer wurde brüchiger, als die gesamte DDR-Jugend «Born In The U.S.A.» anstimmte. Eine Masse, die sich ihre Macht zum ersten Mal vergegenwärtigte. «Im Buch von Erik Kirschbaum werden auch die Stasi-Akten ausgewertet. Neunzig Seiten, auf denen nichts weiter steht, als dass Bruce Springsteen sein Musikhandwerk genau so gut versteht wie den Fabrikarbeiter in Amerika, und dass seine Konzertbesucher mit ihm ihren Spaß haben. Zufrieden wertet der Geheimdienst die Berichte aus der Feindespresse aus, von «Bild» bis «Bunte». «Cherno Jobatey schreibt in der «Zeit» vom 29. Juli 1988: «Allzu viele kamen einfach nur, um zu sehen, was denn der Westen Tolles zu bieten hat.» Politisch sei das nicht. Man weiß nicht, ob der Autor es sich nicht mit den Behörden in der DDR verscherzen wollte, oder ob der muntere und gleichgültige Geist des Frühstücksfernsehens bereits in Cherno Jobatey gefahren war: Für ihn war Springsteens Gastspiel nur das größte Volksfest auf deutschem Boden. Für die Stasi ebenfalls. «Da bin ich froh, dass ich damals dabei gewesen bin und dann doch mehr verstanden habe als gedacht. Es war nichts Musikalisches, es war politisch.

 
 

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