Ausgerechnet eine Grüne zeigt, warum Sprachpolizist Scholz nicht durchkommt

14.03.2024NewsFocus OnlineUlrich Reitz —   –  Details

Agnieszka Brugger

Die nächste Taurus-Debatte bringt ungewöhnliche, einmalige Koalitionen hervor, wie es sie noch nie gegeben hat. Und offenbart eine tiefe Entfremdung zwischen Grünen, der SPD und ihrem Kanzler. Auf der Regierungsbank sitzt Annalena Baerbock (Grüne). Während der sehr besonderen Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, die binnen allerkürzester Zeit bis hinein in ukrainische Regierungskreise hohe Wellen schlägt, kann man sie mehrmals mit dem Kopf schütteln sehen. Und wer ihre Lippen genau beobachte, sieht sie ein „Unverschämtheit“ raunen und „unglaublich“ an die Adresse des SPD-Fraktionschefs sagen. Das Ergebnis der Abstimmung über den Taurus-Liefer-Antrag der Union ist zweitrangig, denn das Ergebnis steht vorher fest: Die Union soll nicht die Ampel auseinanderjagen können, und darum stimmen auch Grüne und FDP mit der SPD. Dass sie sich damit jedoch hinter die Linie des Kanzlers stellen, wie manche Medien verbreiten, ist eine Falschmeldung. So eine Konstellation hat es in der Parlamentsgeschichte noch nicht gegeben Die Fakten sehen anders aus: Im Bundestag gibt es in der Taurus-Sache eine Koalition aus SPD, AfD, Wagenknecht-Partei und der Linken. Diese vier Parteien stellen sich ausnahmslos hinter die Weigerung von Olaf Scholz, Taurus-Mittelstreckenraketen an die Ukraine zu liefern. Ihr gegenüber steht eine Pro-Liefer-Koalition von Union, Grünen und FDP. So eine Konstellation hat es in der Parlamentsgeschichte noch nicht gegeben, zumal in einer Frage von Krieg und Frieden. Und noch nie hat ein Bundeskanzler in einer wichtigen außen- und verteidigungspolitischen Frage in seiner eigenen Regierung derart isoliert dagestanden. Tags zuvor hatte Scholz sein Taurus-Basta begründet, mit seinem Amtseid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Mit der Sicherung des Friedens. Mit der Furcht, „Kriegspartei“ zu werden im Fall einer Lieferung. Mit der Notwendigkeit der „Kontrolle“ von Taurus-Raketen durch deutsche Soldaten, was aber die Lieferung in das Kriegsland Ukraine unmöglich mache. Agnieszka Brugger sitzt seit 14 Jahren im Deutschen Bundestag und an diesem Donnerstag hält die Grüne ihre wichtigste Rede. In der sie dem sozialdemokratischen Bundeskanzler, der in dieser Koalition auch ihr Regierungschef ist, offen, klar und fundamental entgegentritt. Dank von der CDU Agnieszka Brugger lässt nicht eines der Scholz-Argumente stehen. Sie erwähnt den Namen des Kanzlers nicht einmal, sie braucht es auch nicht, jedem ist klar, wer gemeint ist. Brugger spricht ruhig, sie argumentierte staubtrocken und frei von jeder Emphase, wie man sie etwa von ihrer Parteifreundin, der Außenministerin kennt. Hinterher bedankt sich der wichtigste Verteidigungspolitiker der CDU, Johann Wadephul, ausdrücklich bei der Grünen. Die Grünen entschieden sich, die neben Annalena Baerbock treueste Ukraine-Verteidigerin ans Rednerpult zu schicken. Hätte Baerbock selbst geredet, hätte sie sich als Taurus-Befürworterin entweder verleugnen oder dem Kanzler offen widersprechen müssen, was zum Koalitionsbruch hätte führen können. Also redet die Fraktionsvize Brugger. Der Kanzler sagt, Deutschland tue viel für die Ukraine, in Europa am meisten. Brugger stellt nun in den Raum, dies könne „leider nicht genug“ sein. Was, wenn die Ukraine verliere, sie müsse vielmehr „gewinnen“, was Scholz noch nie zu seinem Ziel erklärt hat. Der Ukraine-Antrag, den Scholz in seiner Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter unterschrieben hat, sieht nicht einen „Sieg“ der Ukraine vor, sondern einen Sieg im „Verteidigungskampf“ – was „nur“ Selbstbehauptung gegen Russland bedeutet. Der Kanzler sagt, seine Position sichere den Frieden in Deutschland. Brugger sagt, die „größte Gefahr für unsere Friedensordnung“ gehe von einem Sieg Wladimir Putins aus. Zwischen beide Positionen passt eine ganze Partei. „Wir lassen uns die Abwägung von niemandem absprechen“ Scholz lobt sich für seine „Besonnenheit“, seine „Abwägung“, womit er sagt: die anderen seien im Unterschied zu ihm nicht besonnen oder abwägend. Seinen Kurs versucht er, als Alleinstellungsmerkmal auszugeben. Brugger lässt ihn namens der Grünen nicht damit durchkommen: „Wir lassen uns die Abwägung von niemandem absprechen.“ Will sagen: Taurus eben doch zu liefern, kann auch und gerade eine Folge des Abwägens und der Besonnenheit sein. Womit die Grüne dem sprachpolizeilichen Versuch des Kanzlers und von dessen SPD entgegentritt, die Debatte rhetorisch einzuhegen und zu kanalisieren: hier der Frieden, SPD, dort der Krieg – die anderen, auch Grüne und FDP. Der Kanzler warnt vor einer möglichen „Eskalation“, die mit der Lieferung einer weit reichenden Waffe wie Taurus verbunden sein könne. Brugger widerspricht ihm hart: Zu einer Eskalation könne „auch Zögern und Zaudern“ beitragen. Womit sie sagt: Nicht, wer Waffen liefert, riskiert einen Krieg, sondern, wer Waffen nicht liefert, riskiert einen Krieg. Und es geht weiter: Olaf Scholz fürchtet eine Eskalation durch die Lieferung der deutschen Mittelstreckenrakete. Seine grüne Kontrahentin wirft ein, Frankreich und Großbritannien würden Mittelstreckenraketen bereits liefern – aber das habe „nicht zur Eskalation beigetragen“. Womit Brugger sagt: Für die Behauptung des Kanzlers gibt es keinen Beleg. Was auch für einen weiteren Punkt gilt: Scholz argumentiert, Deutschland müsse mit eigenen Soldaten den Taurus in der Ukraine kontrollieren – womit er klarstellt, dass er der Ukraine nicht vertraut. Auch hier setzt Brugger die Empirie gegen die bloße Annahme: „Die Ukraine hat noch nie Vertrauen missbraucht“. ”Die Zeiten von Gerhard Schröder (basta) sind gottseidank vorbei“ Damit nicht genug: Die SPD-Führung würde die gesamte Taurus-Debatte am liebsten gleich ganz beenden. Entsprechend hatte sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert geäußert. Mit einem solchen Versuch der Debattenlenkung sind die Grünen nun überhaupt nicht einverstanden, sie werten es als Einschränkung der freien Rede. Brugger: „Die Debatte kann auch nicht einfach beendet werden.“ Die Grüne schiebt knallhart nach: „Die Zeiten von Gerhard Schröder (basta) sind gottseidank vorbei.“ Und ihre letzte Bemerkung bezieht sich auf das wichtigste Argument von Scholz, seinen Amtseid. Damit begründet der Kanzler seine Entscheidung, Taurus nicht zu liefern. Brugger sieht es genau andersherum: „Was dem Frieden nutzt, das gebietet der Amtseid.“ Wenig später ist Rolf Mützenich an der Reihe, er ist, neben Ralf Stegner, der größte Waffenliefer-Skeptiker in den Reihen der ohnehin skeptischen SPD. Wenn er mit seiner Rede fertig ist, wird kurz danach der frühere Botschafter der Ukraine in Deutschland und heutige stellvertretende Außenminister Andrii Melnyk dies twittern: „Habe immer gesagt: dieser Typ war und bleibt der widerlichste deutsche Politiker. Für immer und ewig.“ Das ist der „Säbel“, den man von Melnyk kennt. Mützenich bestreitet rundheraus den Sinn der Debatte Mit dem Florett versuchte es dessen Nachfolger, der amtierende Botschafter Oleksii Makeiev: „Möglicherweise diese Woche auf Fraktionsebene: Verstehst du, warum wir nicht liefern? Lass mich erklären… Neee, erklären kann ich es selbst, ich will es verstehen.“ Mützenich bestreitet rundheraus den Sinn der Debatte über ein einzelnes Waffensystem wie Taurus. Er kreidet denjenigen, die darüber diskutieren wollen, „niedere Beweggründe“ an. Er spricht über die Leistung Deutschlands, ukrainische Flüchtlinge aufgenommen zu haben. Sagt, man solle jetzt, wie der Kanzler, darüber reden, weshalb andere europäische Länder nicht so viel Waffen an die Ukraine lieferten. Empfiehlt, darüber nachzudenken, wie man diesen Krieg „einfrieren“ und dann auch beenden kann – was die auf der Regierungsbank sitzende Bundesaußenministerin Baerbock – völlig zu Recht – als frontalen Angriff auf sie und das Außenamt werten kann. Und hat nicht die Ampel noch vor zwei Wochen die Wiederherstellung der Ukraine in den Grenzen von 1991 beschlossen – mit den Stimmen der SPD? „Spielernatur“ – wer ist hier wohl gemeint? Mützenich attackiert Koalitionspolitiker, die wie Toni Hofreiter (Grüne) oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) dem Kanzler vorgeworfen hatten, die Unwahrheit gesagt zu haben. Das sei „bösartig“ und „gehört nicht in eine Koalition“. Später wird sich Strack-Zimmermann von ihrem Platz in den Reihen der FDP-Fraktion mit versteinerter Miene zu Mützenich in die erste Reihe begeben – und auf ihn einreden – so etwas will sie sich als freie Abgeordnete nicht gefallen lassen. Von Mützenich will sie sich nicht vorschreiben lassen, was Koalitionsdisziplin bedeutet. „Zeitenwenden sind nichts für politische Spielernaturen“, sagt Mützenich. „Spielernatur“ – wer ist hier wohl gemeint? Der SPD-Fraktionsvormann lässt es absichtsvoll offen. Mützenich sagt, die USA hätten im Oktober 2022 gefürchtet, die Russen würden taktische Atomwaffen einsetzen. Daraufhin habe Pekings Staatschef Xi das Atom-Tabu öffentlich bestätigt. Mützenich fragt im Oberlehrerstil: „Und wer war an seiner Seite?“ Womit er sagen will: Der Bundeskanzler hat – mit Xi zusammen – einen russischen Atomschlag verhindert. Kurz darauf reagiert der Militärexperte Carlo Masala, ein leidenschaftlicher Ironiker, auf Mützenichs Ansammlung von Rechthabereien: „Alle niedere Motive außer Rolf.“ Die SPD ist in diesen Tagen triumphalistisch gestimmt. Zum ersten Mal glaubt ihr Kanzler, Oberwasser zu haben. Die Umfragen, die eine klare Mehrheit der Bevölkerung gegen die Taurus-Lieferung zeigen, sieht er an seiner Seite. Scholz und seine Sozialdemokratie haben sich in den Wahlkampfmodus begeben. Der Bundeskanzler agiert so parteipolitisch und aggressiv, wie er noch nie agiert hat. Wer – gut begründet – andere Fakten präsentiert, die seiner Version widersprechen, die belegt er mit dem Vorwurf, „Halbwahrheiten“ zu verbreiten – was er allerdings nicht belegt. Den CDU-Politiker Norbert Röttgen traktierte er mit dem Vorwurf, vor der Öffentlichkeit zu verschweigen, was er doch wisse. Es klingt schon fast nach Verschwörungstheorie.

 
 

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