18.02.2024 – News – Zeit Online – Peter Neumann — – Details
Alexej Nawalny
Eine neue Dokumentation erzählt die Zerrissenheit von Alexej Nawalny. Der Film verklärt ihn nicht als Märtyrer, sondern zeigt, wie er eher widerwillig in die Politik zog. — Es war im vergangenen Herbst, als Alexej Nawalny aus dem Gefängnis heraus einen langen Brief veröffentlichte. Nawalny war soeben zu 19 weiteren Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden und stand kurz davor, in eine Strafkolonie in der russischen Polarregion verlegt zu werden. Der Text trug den Titel Meine Angst, mein Hass und war schon deshalb erstaunlich, weil Nawalny seinem Widersacher im Kreml, Putin, bis zuletzt Stärke signalisiert hatte. Und dieser Nawalny, in dem seine Unterstützer gerne einen unverwüstlichen Wikinger sahen, sprach jetzt offen vom Hass, der ihn auffraß. Aber nicht auf Putin. Auch nicht auf die Aufseher im Lager. Es war der Hass auf diejenigen, die er einmal geliebt hatte, für die er sich eingesetzt hatte. «Ich hasse mich selbst dafür, dass ich sie einst geliebt habe», schreibt Nawalny in dem Brief: «Ich hasse diese Betrüger, die wir aus irgendeinem Grund Reformer genannt haben.»
Es ist die Geschichte dieser innerlichen Zerrissenheit, die der Regisseur Igor Sadreev in seinem Dokumentarfilm Becoming Nawalny erzählt, der jetzt bei Arte und im Ersten zu sehen ist (in den Mediatheken und am 21.2. um 0.30 Uhr auf Arte). Sadreev hatte lange heimlich an einem Film über Nawalny gearbeitet. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine brachte er sich selbst und das Drehmaterial in Sicherheit und verließ Moskau. In Berlin konnte er den Film dann fertigstellen, gemeinsam mit dem Journalisten Aleksandr Urzhanov. Ursprünglich sollte der Film zu den russischen Präsidentschaftswahlen im März laufen. Jetzt zogen die Sender ihn vor. Sadreev macht aber keinen Hehl daraus, dass er aus dem gerade in Haft gestorbenen Putinkritiker keinen Märtyrer machen will. Im Gegenteil: Er zeichnet das Bild eines Oppositionellen, den es nur widerstrebend in die Politik zieht. Der nie auf die Idee gekommen wäre, sich Putin entgegenzustellen. Der nichts als Normalität wollte und früh feststellen musste, dass dieser einfache Wunsch an eine unerfüllbare Utopie grenzte. — Unter seiner Stärke lag ein tiefer Schmerz: Alexej Nawalny im Warteraum zu einer Gerichtsverhandlung.
SK-news