Eine alternative Insel in Ost-Berlin: Meine Zeit im Centre Culturel Français

29.01.2024NewsBerliner ZeitungVincent von Wroblewsky —   –  Details

Centre Culturel Français

Das Centre Culturel Français prägte mein Leben und ist mir bis heute, 40 Jahre später, immer noch sehr gegenwärtig (den Beweis für diesen etwas pathetischen Anfang hebe ich für den Schluss auf). Bei der Eröffnung waren hochrangige Vertreter aus Politik und Kultur der DDR anwesend: der DDR-Außenminister Oskar Fischer, die First Lady Margot Honecker, der Kulturminister Hoffmann oder die im ZK der SED für Kultur verantwortliche Ursula Rackwitz. Ich hatte das Privileg, zwischen ihnen und den ebenfalls bedeutenden Franzosen dolmetschend zu vermitteln. — Wie vieles in der DDR war das alles andere als selbstverständlich, es mussten dem Ereignis würdige Schranken überwunden werden. Ich weiß nicht mehr, wer mich – den damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter des Zentralinstituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften – für diese ehren- und verantwortungsvolle Aufgabe auserkoren hatte. Ich war kein ausgebildeter Dolmetscher, verdankte jedoch eine hinreichende Qualifikation den ersten zehn Jahren meines Lebens in Frankreich und meinem späteren Studium der romanischen Sprachen und Literaturen sowie vielen vorangegangenen Gelegenheiten, meine Fähigkeiten auf diesem Felde zu beweisen.

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— Zu den persönlichen Beziehungen, die von den das Kulturzentrum beobachtenden Entsandten der Stasi gewiss negativ vermerkt wurden, gehören auch die zu den französischen Verantwortlichen des Centre. Mit zwei Direktoren und einem stellvertretenden Direktor hatte ich noch lange nach der Existenz des Centre, ja bis heute, Kontakt. Diesen Stellvertreter und einen Künstler komme ich abschließend nicht umhin zu nennen, um meine zu Beginn aufgestellte Behauptung zu beweisen, das Centre wirke bis heute in mein Leben hinein, und zwar jeden Tag. Der Künstler heißt Henri Cartier-Bresson, einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts. 1986 zeigte das Kulturzentrum eine Ausstellung seiner Fotos. — Ich dolmetschte seine Rede bei der Eröffnung der Ausstellung, beim anschließenden Essen in der traditionsreichen Gaststätte Zur letzten Instanz saß ich neben ihm und wir hatten reichlich Gelegenheit zu einem persönlichen Austausch. Der uns verbindende Dritte war Jean-Paul Sartre, der zu Cartier-Bressons Bildband über China ein Vorwort geschrieben hatte und über den ich gut zehn Jahre zuvor meine Doktorarbeit verteidigt hatte. — Beim Abschied schenkte er mir zwei seiner Fotos im Postkartenformat, mit Widmungen. Auf einer schrieb er: «pour Vincent avec mes plus vifs remerciements et meilleurs vœux d›avenir proche et lointain Très cordialement Henri. (für Vincent mit meinem heftigsten Dank und den besten Wünschen für die nahe und ferne Zukunft Sehr herzlich Henri) In einem PS fügte er hinzu: en attendant la photo de Sartre. (bis zum Foto von Sartre). Dieses PS enthielt kein leeres Versprechen: Einige Tage später traf bei der französischen Botschaft ein Umschlag für mich ein, er enthielt nicht ein, sondern zwei Fotos von Sartre, und zwei von Simone de Beauvoir, alle vier mit sehr schönen Widmungen. — Diese Porträts hängen seitdem an der Wand meines Wohnzimmers, sie begleiten mich täglich, wenn ich in Berlin bin. Und wenn ich nicht in Berlin, sondern in Paris bin, zusammen mit Monique, seit nunmehr dreizehn Jahren, ist das Centre auch gegenwärtig, obwohl sie mit ihm nichts zu tun hatte. Wir lernten uns in Pont l›Évêque kennen, beim 70. Geburtstag von François Trieu. Ohne meine Freundschaft zu diesem ehemaligen Geenralsekretär des französischen Kulturzentrums hätte ich Monique wohl kaum kennengelernt. So begleitet mich das Centre Tag um Tag, in Berlin wie in Paris. — Vincent von Wroblewsky ist ein deutscher Philosoph, Autor und Übersetzer. — Im Centre Culturel Français 1987: Dominique Paillarse (M.), Direktor von 1985 bis 1991, mit Jacqueline Grenz (l.) und der Schriftstellerin Christa Wolf

 
 

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