28.11.2023 – News – Zeit Online – Alexander Eydlin — – Details
Marianna Budanova
Manchmal sagen Regierungen einfach offen, was sie denken. So scheint es zuletzt gewesen zu sein, als die US-Vertretung in der Nato ein vielsagendes Statement veröffentlichte. Darin heißt es, die USA würden die Ukraine weiter unterstützen, bis sie «in der stärksten möglichen Position» für Verhandlungen sein werde. Und weiter: «Wir sind darauf fokussiert, die Voraussetzung für einen gerechten, anhaltenden und nachhaltigen Frieden zu schaffen.» — Das fasst die Linie westlicher Politik im Ukraine-Krieg zusammen: Der Ukraine zu helfen, Wladimir Putins Regime aber nicht existenziell zu schaden. Als habe das eine nichts mit dem anderen zu tun. Der Widerspruch zwischen dem Kompromissangebot an Putin und dem ausgegebenen Ziel eines «gerechten Friedens» – er bleibt ungelöst. Dabei ist es bequem, Russland nur durch die Linse des Kriegsgeschehens zu betrachten. Als würden sich alle Probleme erledigen, sobald sich Putins Armee aus der Ukraine zurückzieht. Noch am ersten Kriegstag sagte Olaf Scholz: «Putin hat einen schweren Fehler begangen.» Das war eine zum Satz gewordene Hintertür: Fehler sind korrigierbar und im Zweifelsfall verzeihbar.
Ein Siegfrieden wäre ein klares politisches Ziel — Vielleicht ist es das, was die Regierungen in Washington und Berlin bewegt. Je länger der Krieg anhält, desto mehr Zeit erkauft die ukrainische Armee für den Westen. Diese Zeit kann man nutzen, um Russland effektiver abzuschrecken und einen Großkonflikt zu verhindern – solange es nicht ein Krieg des Westens ist. Das mag eine Unterstellung sein – doch eine andere zufriedenstellende Antwort, warum wir keine Marschflugkörper liefern und Verteidigung, aber keine Befreiung ermöglichen, kam bisher noch nicht. — Die Aussicht auf ein langfristig feindlich eingestelltes Russland demonstriert, wie sich eine Linie in Europa zwischen nationalstaatlicher und imperialer Logik gezogen hat. Der Westen kann versuchen, die Ukraine hinzuhalten, und sie schlussendlich jenseits dieser Linie zurücklassen. Der gesellschaftliche Druck, das zu tun, steigt. Die Botschaft an Putin wäre dann: Die Linie ist verhandelbar, und die beste Verhandlungsmethode ist Krieg. — Besser wäre es, eine andere Schlussfolgerung zu ziehen: Wenn Putin von einem langen Krieg profitiert, dann muss der Westen ihn verkürzen. Und wenn Putin einen Diktatfrieden braucht, dann müssen wir einen Siegfrieden anstreben. Das wird, wie die gescheiterte ukrainische Offensive gezeigt hat, deutlich schwieriger als erhofft. Aber nach fast zwei Jahren Krieg wäre es etwas, was Scholz und Biden bisher noch nicht geliefert haben: ein konkretes und widerspruchsfreies politisches Ziel.
SK-news