Wo der himmlische Wind weht / ORF Radio-Symphonieorchester Wien,

14.11.2023KonzertÖ1Walter Weidringer —   –  Details

Roland Kluttig

ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Wiener Singakademie, Die Wiener Chormädchen, — Dirigent: Roland Kluttig. Klangregie: Joachim Haas / SWR Experimentalstudio. Mark Andre: rwh 1 4. Konzert-Zyklus in vier Teilen (2017-2022, ÖEA) — (aufgenommen am 3. November im Wiener Stephansdom im Rahmen von Wien Modern) — Ein Orkan im Pianissimo: In «rwh», dem spirituellen Hauptwerk des Komponisten Mark Andre, braust der heilige, im Aramäischen weibliche Geist ganz leise durch den Stephansdom. — «Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt»: So lautet in der Lutherbibel ein berühmter Satz Jesu aus seinem Gespräch mit Nikodemus. Atem, Luft, Wind, Geist, Leben, Seele: Das aramäische Wort, das «ruach» ausgesprochen wird und das der zitierten Bibelstelle so wie auch vielen weiteren zugrunde liegt, besitzt eine faszinierende Palette von Bedeutungen – und es ist im Aramäischen ein Femininum, das heißt, auch der von Martin Luther übersetzte «Heilige Geist» wird im Original weiblich gedacht. Der Komponist Mark Andre hat sich 2017 bis 2022 in seinem vierteiligen Werk namens «rwh» (so die wissenschaftliche Transliteration) von diesem Wortfeld inspirieren lassen: In insgesamt rund 95, spannungsreichen Minuten untersuche er, so Mark Andre, «die Entfaltung und Ausdehnung der instabilsten, fragilsten und vermutlich intensivsten kompositorischen Klangzeitsignaturen der Zwischenraumzeiten. Es geht um Musik im Prozess des Entschwindens, des Verschwindens, der alle Aktions-/Klang- /Zeitebenen sowie den gesamten Atem der Komposition betrifft und kompositorische Risse entstehen lässt.» Beim Festival Wien Modern 2023 wird diese sensible Erkundung von Klang und Raum auf Wunsch des Komponisten dem Stephansdom eingeschrieben: ausgeführt von ORF Radio-Symphonieorchester Wien, der Wiener Singakademie und den Wiener Chormädchen unter Roland Kluttig sowie elektronisch betreut vom SWR Experimentalstudio. — «Wie kann einer aus dem Land von Liberté, Égalité und Baguette dem gallischen Hahn derart vollständig entsagen, dass er aus dem C seines Vornamens ein K macht und sogar den Accent aigu auf seinem Nachnamen tilgt?», räsonierte schon 2010 das Hamburger Abendblatt über Mark Andre, den 1964 in Paris geborenen Elsässer: Er hat sein französisches Ich namens «Marc André» hinter sich gelassen und als Protestant in Deutschland sein künstlerisches Zuhause gefunden, im Lande von Luther und Lachenmann (übrigens Sohn eines Pastors). Geräuschhafte, karge Musik, ohne plakative Effekte, herausfordernd für die Interpreten ebenso wie fürs Publikum; eine starke religiöse Affinität: Zwischen wie viele Stühle will sich dieser Komponist noch setzen?, könnte man fragen, wie weit im Abseits will er bleiben? Das Gegenteil ist der Fall: Gerade seine freundliche Kompromisslosigkeit hat Mark Andre international Beachtung und große Erfolge eingetragen. Bemerkenswert ist die enorme Breite seines Musikschaffens. Mit «rwh» präsentiert Wien Modern jedenfalls das spirituelle Opus Magnum des feinfühligen Künstlers.

 
 

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