27.04.2023 – News – taz online – Karl Bruckmaier — – Details
Rickie Lee Jones
Die Frau mit dem Barett: US-Singer-Songwriterin Rickie Lee Jones veröffentlicht das Album «Pieces of Treasure». Würdigung einer großen Künstlerin. — Denkt man heute an die Musik des Jahres 1979 zurück, so fallen einem entweder Disco-Hits ein oder Songs der beginnenden New-Wave-Ära, also etwas von Donna Summer oder Blondie; XTC machen Pläne für Nigel und Video killt den Radio Star. Und, ja, mit «Rapper›s Delight» beginnt die Ära von Rap und HipHop. Gleißende Zukunftsmusik. So viel Optimismus. Man konnte die Achtziger kaum erwarten. Pop Muzik. — Dabei war es unmöglich, sich eine Jeans kaufen, ohne dass einem Dire Straits die Hose zuknopflerten. Das nannte man Mainstream und gegen solche Eagles schien kein Rattengift gewachsen. Auftritt einer Mittzwanzigerin, irgendwo zwischen Absteige und Obdachlosenasyl beheimatet, jedenfalls mit einem Barett auf dem Kopf, einer Frau, die sich zu alt findet für Punk, wie sie sich später erinnern wird, jedenfalls nicht zugehörig, wenn Henry Rollins mit seiner schwarzen Anarcho flagge wedelt. — Obwohl bald US-Punkpioniere wie DJ Bonebrake und Mike Watt im Kleingedruckten ihrer Alben auftauchen würden; neben Jazz-Größen wie Joe Henderson und Tom Scott, Gitarrengottheiten wie Bill Frisell und Leo Kottke, Popstars wie Donald Fagen und Walter Becker. Und wenn hier die Namen so weitertröpfeln, ist die taz voll und ich habe noch nicht einmal erwähnt, von wem die Rede ist: von Rickie Lee Jones nämlich, und ihrem neuen Album «Pieces of Treasure», das jetzt nicht ganz so toll geraten ist, aber dann doch. — Chuck E.›s in Love — Rickie Lee Jones debütierte 1979 mit einem selbst betitelten Album beim Major Label Warner Bros., verkaufte mehr als eine Million Einheiten und errang so Platin-Status, als das noch etwas zu bedeuten hatte, landete mit «Chuck E.›s in Love» einen ersten Welthit, der sie auf das Cover des Rolling Stone hievte, und keiner kann sagen, warum dieser Fake-Jazz von Rickie Lee Jones mitsamt Beatnik-Texten und einer Prise Selbstzerstörung irgendjemandes Nerv getroffen hat. — Joni Mitchell war radikaler, Tom Waits ebenfalls, aber Jones› Barett war vermutlich gar keine Kopfbedeckung, sondern nur eine platt gequetschte Gauß›sche Glockenkurve. Und das Zipfelchen, das oben herausragt, bezeichnet einfach den kleinsten gemeinsamen Nenner von Pop in jenen Tagen. So wie ihre Biografie kaum typischer sein konnte, wenn sich einer einen Popstar malen sollte: Elternhaus zerrüttet, aber musikalisch vorbelastet. — Hochnasige Jazzwelt — Nicht nur Chuck E. hat sich verliebt, die ganze Welt scheint Rickie Lee Jones fortan huldigen zu wollen. Nun, nicht die ganze Welt. Die Jazzwelt schien der immer noch jungen, immer noch weißen, immer noch mit dem falschen Stallgeruch behafteten Frau Gram zu sein ob der Anmaßung, ein Vermögen zu verdienen, ständig im Radio gespielt zu werden, bejubelt, obwohl oder eben weil sie nicht jeden Ton traf. — Ach, der Jazz. Jones› zweites Album «Pirates» war überproduzierter Weltraumschlock und trotzdem sagenhaft erfolgreich, also nahm sich Rickie Lee Jones pflichtgemäß eine Krise und mit der wirren 10-Inch «Girl at her Volcano» legte sie ein erkennbar aus Studioresten und disparaten Live-Aufnahmen zusammengespleißtes Werk vor. — Dessen Musik sollte wohl beweisen, dass die herben Kritiken aus dem Jazz-Lager unrecht hatten; dass sie sehr wohl zerbrechlich, sensibel und menschlich, ach so menschlich sein konnte, also bereit, jedes Drecksklischee dieses langsam vor sich hinrottenden Genres zu erfüllen, das seit Jahrzehnten so tat, als kehrte der Musiker Abend für Abend erneut sein Innerstes nach außen, immer auf der Suche nach Untiefen seiner genialischen Seele, in die noch keiner vor ihm oder ihr getappt ist.
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