Life Goes On — Carla Bley: Das Leben geht weiter

05.02.2020NewsJazzthetikStefan Hentz —   –  Details

Carla Bley

«I’m a gun for hire», charakterisierte Carla Bley kurz nach ihrem 80. Geburtstag bei einem Gastspiel in Hamburg das Zentrum ihrer musikalischen Arbeit mit einer satten Prise Sarkasmus: «Ich bin ein Auftragskiller: Jemand beauftragt mich, eine Komposition zu schreiben, und dann tue ich das.» Allerdings: «Ich arbeite nur für die Besten der Welt.»

Damit ist sie weit gekommen: Carla Bley ist die wahrscheinlich bedeutendste Komponistin des Jazz nach der Öffnung aller stilistischen Abzweigregler. Die eine Frau unter den Musikern der New Yorker Jazz-Avantgarde der 60er Jahre, diejenige, die mit ihrem raffinierten Witz, ihrer Offenheit für Anregungen aus sehr vielen Feldern und ihren außergewöhnlichen kompositorischen Ideen den suchenden und forschenden Improvisatoren immer wieder Wege wies, ihrer Kunst im Meer der Möglichkeiten Zwangsläufigkeit und Verbindlichkeit einzuhauchen. Eine der treibenden Kräfte in der «Oktober-Revolution des Jazz» im Herbst 1964, die mithalf, die organisatorischen Kräfte der Musiker in der Jazz Composers Guild zu bündeln und das Jazz Composer›s Orchestra zu gründen. — Am Anfang kann niemand wissen, dass diese Bande von jungen Jazz-Avantgardisten, die Ende der 50er Jahre im Birdland in New York abzuhängen pflegt, wenig später zu den Besten gehören wird. Paul Bley ist eine der zentralen Gestalten dort, ein Klangpoet unter den Pianisten, Charlie Haden, Gary Peacock und – damals schon: Steve Swallow. Und dieses unerhört blonde Mädel von der Westküste, das abends die Zigaretten verkauft und die Streichhölzer dazu: Lovella May Borg, die sich lieber «Carla» nennt, und – wie das so geht – bald mit Paul Bley verheiratet ist. — Aufgewachsen war sie als Tochter eines liberalen Kirchenorganisten, im Haus gab es viele Möglichkeiten, mit Tasten und Klängen zu spielen. Als Kind hatte sie schwarze Punkte auf ein Stück Papier gemalt, einige wieder ausradiert und das Ganze Komposition genannt, doch nun, in diesem Umfeld ist vieles anders. Paul Bley liebt es, ihre Kompositionen zu spielen, und bittet sie um inspirierendes Material. «Paul sagte zu mir: ‹Ich habe morgen eine Aufnahme, schreib mir mal schnell eine Stunde Musik.‹ Also habe ich geschrieben. Und geheimnisvollerweise waren die Stücke tatsächlich gut.» Es ist harter Stoff, den Carla Bley hier spielen lässt, mehr Skizze als Rahmen, aber ihre Skizzen haben genügend schwarze Punkte, die Musik in der Balance zu halten, sie sind sinnlich genug, sich in die Erinnerung einzubrennen, und dabei so offen und abstrakt, dass sie die Improvisatoren nicht in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken. Ziemlich schnell verbreitet sich die Nachricht, dass es hier eine junge Komponistin gibt, die genau das kann, was all den anderen fehlt. «Zu dieser Zeit wollte sich niemand für eine längere Zeit mit seinem Bleistift hinsetzen und nachdenken. Sie alle hatten etwas zu sagen, sie wollten es schnell und mit voller Energie sagen – das Gegenteil von Komponieren, wo du nur sitzt und lange nachdenkst. Ich aber, ich war verfügbar und übernahm den langweiligen Teil des Jobs.»

Nachdem sie jahrzehntelang für Big Bands geschrieben hat und auch als Orchesterleiterin auf der Bühne zu sehen war, hat man sie als ausführende Musikerin auf der Bühne jedoch selbst allenfalls in Begleitfunktionen erleben können. Erst nachdem sie mit Steve Swallow, der schon in den frühen Tagen im Birdland zum Kreis um Carla Bley gehört hatte, auch als Liebespaar zusammenfindet, entwickelt sie das Zutrauen, ihre eigene Stimme als Pianistin hören zu lassen. Zunächst im Duo mit Swallow, später im Trio mit dem Saxofonisten Andy Sheppard, trägt sie Schicht um Schicht ab von den großen Klangformaten, bis sie zu den Stützpfeilern der Struktur vordringt und zu dem Punkt, wo nur noch das zu hören ist, was die Kompositionen erfordern. — Doch vor vier Jahren, in der Zeit um ihren 80. Geburtstag, stellte eine Serie von Rückschlägen und Unfällen ihre Fähigkeit infrage, diesen Weg weiterzuverfolgen. «Carla was hit by a bucket of shit», formulieren die Liner Notes von Life Goes On, dem neuen Album ihres Trios. Dort findet sich als Postulat frisch aufkeimender Lebensfreude auch der Titel «And Then One Day», der diesen Destillationsprozess noch einmal ein Stück weiter auf die Spitze treibt: keine Umschweife, keine selbstgefälligen Kunststückchen, kein Zierrat, nur noch Melodie, Harmonie, Rhythmus im Gleichgewicht, nur noch Schönheit. Ein Spiel mit Reiz und Reaktion, Impuls und Intuition, ein Spiel, das die fluide Beweglichkeit des Rhythmus und die Grenzenlosigkeit des Zusammenspiels feiert. «Jetzt genieße ich es zum ersten Mal zu spielen. Das kommt daher, dass solo zu spielen und es gut klingen zu lassen, eine große Leistung ist. Wenn du etwas für eine Band schreibst, kannst du dir – wenn es sein muss – einen Monat Zeit lassen, um einen Zoll Musik zu schreiben. Aber wenn du spielst, musst du diesen einen Zoll in zwei Sekunden spielen. Es ist ein völlig anderes Spiel und macht viel mehr Spaß als zu schreiben.»

 
 

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