20.08.2023 – News – FAZ online – Julia Encke — – Details
Maxim Biller
Maxim Biller wollte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kein Schriftsteller mehr sein. Nun erscheint ein Roman, den er kurz vor dem Krieg beendet hat. Und der beweist, dass Literatur nicht umsonst sein muss. — Wenn es zwei Maxim Biller gibt, den Kolumnisten, der in seinen Interventionen genauso routiniert Kollegen beleidigt, wie er seine Freunde umarmt; und den Schriftsteller, der eher zurückgenommen, oft ironisch und präzise beschreibt, was er beobachtet – dann war es der Schriftsteller Biller, der im März letzten Jahres in der «Zeit» behauptete, dass er angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine keiner mehr sein wolle (und dabei Juli Zeh, Christa Wolf und Scholochow als «Propagandaschriftsteller» beschimpfte). Wer in einem solchen Moment der Weltgeschichte so mechanisch weiterarbeiten könne wie davor, schrieb er, sei gar kein richtiger Schriftsteller und werde es auch nie sein – außer er sitze selbst im Licht seines iPhones in einem Keller in Kiew oder Lemberg. Denn er habe nicht das Wichtigste: «Mitgefühl – und die Fähigkeit, sich zu Tode zu erschrecken und etwas anderes zu sehen als immer nur sich selbst». — Und er lebe in einer Gegenwart ohne Vergangenheit. Die Vergangenheit aber, schrieb Biller in diesem für sein Werk so wichtigen poetologischen Text, habe ihn selbst überhaupt erst zum Schriftsteller gemacht. Eine totalitaristische Vergangenheit; die Gespräche über den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und die Lager, die den 1960 Geborenen seit seiner Kindheit umgaben; das Erlebnis des Prager Frühlings und die Angst, auf dem Schulweg «von einem russischen Soldaten erschossen oder von einem T-34-Panzer wie eine Ameise überrollt zu werden»; die Emigration nach Deutschland. In der Hoffnung, schreibend das Totalitäre abzuwehren, sei er zum Autor geworden, so Biller. Nicht indem er Menschen beschreiben wollte, wie sie sein sollten (wie es die «Propagandaschriftsteller» taten), sondern wie sie sind und waren, «sich wehtun und es bereuen, wie sie sich gegenseitig verraten und selbst am meisten darunter leiden». Jetzt aber sei der Krieg zurückgekehrt, es sei wieder passiert – alles Schreiben sinnlos und umsonst.
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