Geschmeidige Freiheit – Zum Tod von Ernst-Ludwig ‹Luten› Petrowsky

10.07.2023NewsBR-KlassikUlrich Habersetzer —   –  Details

Ernst-Ludwig Petrowsky

Als «Vater des DDR Free Jazz» wurde er bezeichnet, Ernst-Ludwig «Luten» Petrowsky war ein herausragender Musiker, ein Freigeist und ein subtiler Formulierer mit Tönen und Worten. Am 10. Juli ist er im Alter von 89 Jahren gestorben. — «Im Jazz geht man immer ein Abenteuer ein, mit sich selbst, mit den Mitmusikern und mit dem eigenen Instrument. Es ist jedes Mal eine Herausforderung, bei der man über den eigenen Schatten zu springen gezwungen ist. Sonst wäre es kein Jazz!» — So konnte nur er formulieren, mit feinen sprachlichen Girlanden, farbig, aber nie zu blumig, ein bisschen um die Ecke gedacht, aber trotzdem eindeutig in der Aussage. Jedes «R» ein norddeutsch küstennah gerolltes. Ein eigener Sound eben! Den hatte Ernst-Ludwig Petrowsky. Ihm nahestehende Menschen nannten ihn «Luten». Das ist ein altdeutscher Name und bedeutet: «aus dem Volk». — FLÜSTERN, SCHREIEN, JUBILIEREN – UND UNWIDERSTEHLICH SWINGEN — Einen subtil-markanten Sound hatte er auch auf dem Saxophon, besonders das Altsaxophon war sein Sprachrohr. Darauf konnte er schreien, jubilieren, säuseln und flüstern. Er konnte im free-jazzigen Getümmel unwiderstehlich swingen, aber auch scheinbar simplen Volksliedmelodien eine Schroffheit und Bissigkeit geben. Nun ist sein Sound, der schon einige Jahre nicht mehr öffentlich zu hören war, vollends verstummt. Ernst-Ludwig Petrowsky ist am 10. Juli, fünf Monate vor seinem 90. Geburtstag gestorben. — FRÜHE BEGEGNUNG MIT DEM PIANISTEN KRZYSZTOF KOMEDA — Am 10. Dezember 1933 kommt Ernst-Ludwig Petrowsky in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern zu Welt. Als Kind erlebt er, wie sich die Menschen in Deutschland für den Nationalsozialismus begeistern, nach dem Krieg fasziniert ihn der Jazz – und besonders ein polnischer Pianist, Krzysztof Komeda. Ihn lernt er bei einer Jugendfreizeit kennen, Komeda als Leiter einer Folkloregruppe, der sich abends in einen «ganz potenten Jazzpianisten» verwandelt. So erzählte es Petrowsky im Interview mit BR-KLASSIK Jahrzehnte später. Er selbst, so schilderte er weiter, stieg dann mit dem Altsaxophon bei der Jamsession ein, als «blutiger Anfänger», aber die Formulierungsgabe für treffende Töne hatte der Saxophonist wohl damals schon. Er wurde gefeiert von den polnischen Musikern und wäre dann auch aus der neugegründeten DRR er eher in den Osten als in den Westen geflohen. — DAS SÜFFIGE SCHWELGEN IM FREI BEWEGTEN SOUND — Dazu kam es aber nicht, denn auch im SED-System bewegte sich Petrowsky zumindest musikalisch frei mit seinen Quartett-Kollegen in der Band «Synopsis». 1973 gegründet, wurde diese Band zur vielleicht bedeutendsten Jazzband der DDR. Nach einigen Jahren und auch Monaten der Trennung formierte sich die Band in den 80er Jahren mit Schlagzeuger Günter Baby Sommer, Pianist Ulrich Gumpert, Posaunist Conny Bauer und Petrowsky neu und sollte unter dem Namen «Zentralquartett» Legendenstatus erreichen. Markenzeichen des Ensembles: Volkslied-Bearbeitungen und volksliedhafte Kompositionen, die zwischen expressiv-freiem Suchen und süffigem Schwelgen pendelten.

 

War das nun die musikalische Antwort auf die Unterdrückung des DDR-Regimes? War es die politische Musik?

 
 

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