Würde mir an Putins Stelle Sorgen machen

29.06.2023NewsntvNico Lange —   –  Details

Nico Lange

Der Putschversuch auf den Kreml am Wochenende hat vor allem eins gezeigt: Niemand hat sich den Wagner-Kämpfern in den Weg gestellt. Das sei für Putin ein ernstes Problem, sagt Sicherheitsexperte Nico Lange im Interview. Damit Prigoschin den Marsch trotzdem stoppt, mussten aus seiner Sicht andere Gründe eine Rolle gespielt haben: entweder viel Geld oder knallharte Erpressung. Was aus den Tausenden Wagner-Kämpfern wird, ist noch immer unklar. Dass sie nach Belarus kommen sollen, sei aber für das Land eine schlechte Nachricht, sagt Lange. — ntv.de: Vor der Meuterei galt Prigoschin als aufmüpfiger Lügner, der sich gerne mit explosiven Aussagen Aufmerksamkeit verschafft hat, aber außerhalb der Wagner-Truppe nicht viel zu sagen hat. Hat sich das Bild von ihm beziehungsweise seine Rolle seit dem Wochenende verändert? — Nico Lange: Prigoschin ist jemand, der schon länger Konflikte mit dem Verteidigungsministerium, insbesondere dem Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte. Er nimmt eine wichtige Funktion im russischen System ein und ist gut vernetzt bis in den Kreml und pflegte zudem früher enge Beziehungen zu Putin. Der entscheidende Punkt scheint mir aber zu sein, dass bei seinem Putschversuch viele, die er kannte und zu seinen guten Kontakten gehören, sich nicht an seine Seite gestellt haben. Stattdessen haben sie abgewartet oder sich gegen ihn gestellt. Dadurch ist die Aktion dann auch schiefgegangen. — Sie haben Prigoschins Aufstand gerade einen Putschversuch genannt. Er selber hat das dementiert. Für Sie war es aber ein geplanter Putsch? — Ja. Ich finde, es ist nicht entscheidend, was Prigoschin jetzt darüber sagt. Er stand im Nachhinein offensichtlich unter Druck, und zwar so stark, dass er die ganze Sache gestoppt hat. Zunächst hat er versucht, sich gegen die Spitze des Verteidigungsministeriums zu wenden. Aber spätestens ab dem Moment, als Putin ihn zum Verräter erklärt hatte und Prigoschin daraufhin sagte, dann müssen wir eben nach Moskau gehen und es muss einen neuen Präsidenten geben – spätestens ab da war es ein Putsch, der abgebrochen wurde. Warum er ihn abgebrochen hat, verstehen wir aber bis heute nicht genau. — Sie haben gesagt, dass sich nicht so viele Leute an seine Seite gestellt haben, wie er vorher dachte. Ist das Ihrer Meinung nach nicht der Grund gewesen? — Das war auf jeden Fall ein Grund. Dennoch war es ja so, dass sie niemand aufgehalten hat. Hinterher sind alle ausgezeichnet und gelobt worden, haben von Putin Orden gekriegt, wie toll sie das gemacht haben. Aber die Wahrheit ist, dass sich niemand der Wagner-Truppe in den Weg gestellt hat. Prigoschin ist überall durchgewunken worden und der russische Staat hatte Mühe oder hat sogar völlig versagt. Vor diesem Hintergrund muss man sich wirklich die Frage stellen: Warum hat er das nicht weiter durchgezogen? Da ist offensichtlich etwas im Hintergrund gelaufen, von dem wir nichts wissen. Vielleicht ist er erpressbar gewesen oder er hat sehr viel Geld angeboten bekommen oder vielleicht Angst vor dem eigenen Erfolg? Jedenfalls gab es etwas, das dazu geführt hat, dass er entschieden hat, die ganze Sache abzubrechen. Selbst seine eigenen Kämpfer waren davon überrascht. — Der Kreml hat angeblich schon im Vorfeld von dem Marsch nach Moskau gewusst. Warum hat Putin die Wagner-Söldner dann bis 200 Kilometer vor die Tore der Stadt marschieren lassen? Was sagt das über seine Autorität aus? — Ich wäre vorsichtig mit den Aussagen all jener, die jetzt sagen, sie hätten das alles schon vorher gewusst. Betrachtungen im Nachhinein muss man immer ein bisschen Skepsis entgegenbringen. Was aber offensichtlich war, ist, dass Prigoschin mit sehr gut bewaffneten und kampferfahrenen Kämpfern nach Moskau marschiert ist und die Polizei, die Nationalgarde und offensichtlich auch die Streitkräfte keine Lust hatten, mit ihnen ins Gefecht zu gehen. Da würde ich mir an Putins Stelle Sorgen machen. Ganz viele der angeblich loyalsten Putin-Getreuen waren am Wochenende nirgendwo zu sehen. Angeblich waren sie nicht erreichbar oder auf einem Boot oder haben nichts mitbekommen. Das ist ja eigentlich das Erschreckende für Putin, dass sich alle wegducken. — Was ist Ihre Einschätzung dazu? Es gibt Experten, die sagen, da muss man vorsichtig sein, so schnell wird der russische Staat nicht zerfallen. — Ich weiß, was ich gesehen habe: Ich habe gesehen, dass eine bewaffnete Gruppe eine Millionenstadt übernommen hat. Dass sie das Hauptquartier des russischen Krieges gegen die Ukraine unter Kontrolle gebracht hat, ohne dass irgendwer Gegengewalt geleistet hätte, und dass sie in Richtung Moskau gefahren sind. Dass man versucht hat, sie mit Kampfflugzeugen und Hubschraubern anzugreifen. Unterwegs hat Wagner einige davon abgeschossen. Das haben wir doch alle gesehen. Jetzt zu sagen, eigentlich war der russische Staat stark und sie hätten die Truppe auf jeden Fall aufgehalten, dafür erkenne ich keine Anzeichen. — Hat Prigoschin außerhalb seiner Wagner-Kämpfer Rückhalt?

Das war offensichtlich für ihn selbst eine Überraschung. Er dachte, dass von den Streitkräften, unter denen viele Unzufriedene sind, sich an seine Seite stellen werden. Das hat aber niemand gemacht. Dann hat er versucht, so zu tun, als sei das ein Aufstand der Kleinen gegen die Großen, weil er gehofft hat, dass sich dann die Bevölkerung an seine Seite stellt. Aber die wissen, dass er ein brutaler Verbrecher ist. Da hat also auch niemand in großer Zahl gemacht. Auch ihm muss dann aufgefallen sein, dass er keine breite Unterstützung in Russland hat, weder in den Eliten noch in der Bevölkerung. Der größte Teil der russischen Bevölkerung verhält sich ohnehin völlig passiv. — Was wiederum der Grund dafür sein könnte, dass Prigoschin den Marsch abgebrochen hat. — Ja, aber er war zu dem Zeitpunkt nicht gefährdet. Er stand ja nicht einer großen Armee gegenüber. Im Gegenteil, die haben hektisch versucht, Straßen aufzureißen und Brücken zu sprengen, um ihn irgendwie aufzuhalten. Er war in einer Position der Stärke. Deswegen bleibt die Frage, warum er eigentlich aufgehört hat. — Hatte er nach Putins Worten, er sei ein «Verräter», Angst, dass sie die Wagner-Kämpfer in Moskau sofort getötet hätten? — Wer denn? Die Verkehrspolizei ja wohl nicht. Jetzt behauptet der Chef der Nationalgarde, sie hätten am Stadtrand von Moskau gewartet. Das halte ich für unglaubwürdig. Ich glaube, es mussten andere Mittel ergriffen werden, damit Prigoschin die ganze Sache stoppt. Vielleicht findet man es irgendwann raus, vielleicht nicht. Aber da muss etwas passiert sein. In Putins System kann man tippen wie bei der Mafia, also auf entweder viel Geld oder knallharte Erpressung. Ich vermute, eines von beidem ist es gewesen. — Das klingt nach einer gut informierten Geschichte. Es deckt sich auch mit dem, was Prigoschin gemacht hat. Er ist nach Rostow ins Hauptquartier der russischen Armee gefahren, weil er gehofft hat, dass er Gerassimow und Schoigu dort treffen kann, die auch kurz vorher da waren und dann verschwunden sind, abgetaucht. Dass das sein Ziel war, halte ich für naheliegend. — In einem Bericht des «Wall Street Journal» heißt es, dass Prigoschins ursprünglicher Plan war, Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow während eines geplanten Besuchs in der Ukraine gefangenzunehmen. Der russische Geheimdienst habe aber zwei Tage vorher davon erfahren, weshalb Prigoschin seine Pläne ändern musste. Klingt das plausibel für Sie? — Was wird aus den Tausenden Wagner-Kämpfern, die noch in der Ukraine sind?

Kreml will sich offenbar Wagner-Imperium einverleiben — Wir reden hier teilweise von entlassenen Schwerverbrechern, die als Söldner gekämpft haben und für die unmenschlichsten Kriegsverbrechen bekannt sind, die man sich vorstellen kann und häufig unehrenhaft aus der Armee entlassen wurden. Die sollen jetzt laut Putin einfach in die russischen Streitkräfte integriert werden. Mit solchen Leuten umzugehen, ist für die eher ein Problem als ein Gewinn. Es wird zudem einen Wettbewerb geben um das lukrative Geschäftsmodell von Wagner. Da geht es um viel Geld. Wagner macht Geschäfte mit Rohstoffen in Afrika und anderswo auf der Welt. Wer will das weiterführen?

Nico Lange ist Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative der Münchner Sicherheitskonferenz und war Leiter des Leitungsstabs im Verteidigungsministerium. Lange hat in Russland und in der Ukraine gelebt.

 
 

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