10.06.2023 – le week-end – Ö1 – Elke Tschaikner und Christian Scheib — – Details
Winnaretta Singer
Die amerikanische Millionenerbin Winnaretta Singer, Princesse de Polignac, führt in Paris einen einflussreichen Musiksalon. In Paris in den frühen 1930er Jahren ist der Komponist Francis Poulenc ein enthusiasmierter Dauergast im Salon der Princesse de Polignac. Es geht ihm gut und er lebt das auch aus. Er gibt sich charmant und wortwitzig, er liebt die unterhaltsame Atmosphäre. — «Jede Menge Diners gibt es zu dieser Zeit in der Avenue Henri-Martin, im Salon. Mit Strawinksy, mit Colette, mit Tante Anna Noailles, die extravagant wie nie zuvor aufgetreten ist mit ihrer goldenen Filzhutmelone, schwarzen Pailetten, roseroten Federn, aufgeschlagener Spitze; da war der brillante Gossen-Schriftsteller Francis Carco zu Gast, da war auch der Künstler Max Jacob, der Freund von Tante Anna Noailles.»
Im Tagebuch ebendieser, immer gern etwas exaltierten Lyrikerin Anna de Noailles, alte Bekannte und längst gute Freundin von Winnaretta, stehen für die Wochen nach der erwähnten Silvesterfeier mehrere Salonkonzerte vermerkt, für den 5. Februar 1932 ein Konzert, in dem es zu einem der nicht allzu häufigen Konzerte mit Musik eines Zeitgenossen aus Wien kommt. Das berühmte Kolisch Quartett aus Wien ist in der Stadt, um Alban Bergs Streichquartett «Lyrische Suite» in Winnarettas Atelier in der Rue Cortambert vorzustellen: «Allegro misterioso – Trio estatico». — Aber schon steht die nächste Uraufführung eines Auftragswerks der Princesse bevor und dafür brechen wir wieder nach Venedig auf.
Der Aufbruch nach Venedig steht nach diversen besorgniserregenden, politischen Entwicklungen im Mai 1932 allerdings eher unter einem Stern der Sorge. Hitlers Bewegung ist im Vormarsch, Reichskanzler Heinrich Brüning tritt mit seinem Kabinett zurück, nachdem ihm Reichspräsident Hindenburg das Vertrauen entzogen hat, am 7. Mai wird in Paris der amtierende Präsident Paul Doumer von einem russischen Terroristen erschossen, nach der Entführung des Lindbergh Babys wird dessen Ermordung offenkundig. In Paris ist die Situation angespannt, aber noch funktioniert das System Ablenkung. Bei Winnaretta bedeutet das natürlich Musik. Sie geht in ein Konzert des kürzlich mit ihrer Hilfe gegründeten Orchestre Symphonique de Paris mit Vladimir Horowitz als Solisten, sie besucht ein Solo-Recital von Yehudi Menuhin im Konzerthaus Salle Pleyel. Und sie beteiligt sich weiterhin intensiv an teuren Sozialbau-Projekten für entweder Obdachlose oder hilfsbedürftige, alleinstehende Frauen. — Aber dann kommt endlich der Sommer und man könnte meinen, die Welt ist wieder in Ordnung, wenn nicht sogar mehr als das. Die Wochen und Monate in Venedig im Palazzo Contarini-Polignac waren ja über die Jahre hinweg immer vom Feinsten, aber der Sommer 1932 scheint ein besonders glücklicher zu sein, also werfen auch wir uns ins Vergnügen. Ständig treffen Gäste ein, die meisten sind ja Stammgäste, Manuel de Falla, Francis Poulenc und der Pianist Jacques Fevrier – die beiden werden auch hier wieder noch viel gemeinsam zu tun haben, das kann man jetzt schon verraten -, auch Artur Rubinstein kommt mit seiner frisch angetrauten Frau Nela auf Besuch. Die wunderbare, schwarze Gondel von Winnaretta fährt ständig zwischen dem alten Bahnhof von Santa Lucia und dem Palazzo hin und her. Und wenn gerade niemand abzuholen ist, wird die Gondel von den Polignacschen Gästen zu Ausflügen in die Umgebung genutzt. — Aus einer ganzen Reihe von Uraufführungen sticht in diesem Sommer in Venedig ein großes Werk besonders hervor, da scheinen sich alle einig zu sein, es ist jenes von der Princesse de Polignac im Vorjahr in Auftrag gegebene Doppelklavierkonzert von Francis Poulenc. Es ist ein überschäumendes Werk, bunt, schnell, voller Einfälle. Allegro molto ist das Finale überschrieben, an den Klavieren sitzen bei der Uraufführung die bewährten und guten alten Freunde Jacques Fevrier und Francis Poulenc. — Nach der überaus erfolgreichen Uraufführung im Palazzo Contarini-Poliganc in Venedig begibt sich die Gesellschaft an diesem Abend hinüber auf die Piazza, den Markusplatz, um das Ereignis in der milden Sommerluft zu feiern. Aber auch das bedeutet noch nicht das Ende der überschäumenden Nacht: Man kehrt zurück in den Palazzo und sofort wird wieder Musik gespielt. Arthur Rubinstein setzt sich ans Klavier und seine frisch angetraute, junge Frau Nela ist so inspiriert, dass sie sich ihrer Stöckelschuhe entledigt und barfuß zu tanzen beginnt. Und zwar offensichtlich mit beeindruckender Grazie: Marie-Blanche de Polignac hinterlässt uns diese Notiz:
«Sie bereitete uns jene Art von unmittelbarer Freude, die Isadora Duncan als Tänzerin ihren Zusehern dreißig Jahre früher wohl bereitet haben muss. Der Venedig-Aufenthalt in diesem Jahr war insgesamt voller unglaublicher Momente und seltener Vergnügungen. Und Tante Winnie war wieder einmal die zuständige Zauberin.»
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