Die Cellistin und Songwriterin Marie Spaemann

28.05.2023MenschenbilderÖ1Petra Herczeg und Rainer Rosenberg —   –  Details

Marie Spaemann

Dzevad Karahasan lebte in Sarajewo und in Graz. Dorthin kam er nach seiner Flucht aus der belagerten Stadt. Im Gespräch wirkte er wie ein Bürger einer utopischen Republik Bosnien Herzegowina – in der verschiedene Kulturen Bildung, Verständnis, Weitsicht, die Fähigkeit des Mitfühlens einbringen. Die real existierende Republik demonstriert anderes: chronisches Scheitern an kulturellen Gegensätzen. Dzevad Karahasan war Kind einer muslimischen Familie, verheiratet mit einer orthodoxen Christin, und er hatte seit seiner Kindheit auch katholische Lehrer und Freunde. Er sprach viele Sprachen, darunter Arabisch und Russisch; er liebte Tschechow und Büchner, untersuchte kulturelle Wurzeln und fürchtete, dass die Beziehung zwischen Westen und Orient von Gleichgültigkeit geprägt ist.

»Wer einmal als Zielscheibe gelebt hat, kennt seine eigene Ohnmacht,» sagte Karahasan zu Hannes Hintermeier in einem Interview für die FAZ, das knapp fünf Wochen vor dem Tod des Schriftstellers erschien. «Großartige Kunst kann man auch in der Hölle machen,» wurde Karahasan im Titel zitiert und dass der Schriftsteller erfahren hätte, «dass das Beschweigen des Grauens zu nichts führt».

Die Hölle, so könnte man es nennen, ist es, wenn seine Bibliothek verbrannt wird, damit die Menschen, die sich in die Wohnung geflüchtet haben, nicht erfrieren; die Hölle ist, wenn Menschen nach ethnischen Zuschreibungen ermordet werden, wenn Kriege vom Zaun gebrochen werden. Damals in Karahasans Heimat, jetzt in der Ukraine.

Sind die Hölle wirklich die Anderen (wie Sartre oft zitiert wird), oder liegt sie schon in einer Art asozialem Plural begraben, wenn Bilder von «wir» entworfen werden, die einerseits mit Macht integrieren wollen, andererseits mit Gewalt ausschließen wollen? Karahasan, geboren am 25. Januar 1953 in Duvno in Bosnien und Herzegowina, gestorben am 19. Mai 2023 in Graz, war davon überzeugt, ein Schriftsteller müsse den einzelnen Menschen ansprechen, und er sagte einmal: «Ich habe keine Leserschaft. Ich habe Gesprächspartner.»

Eine Sendung von Petra Herczeg und Rainer Rosenberg. Erstausstrahlung am 18.11.2012.

 
 

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